Wegweisung wegen Überwachung in der Wohnung

Rechtsprechung

Wegweisung wegen Überwachung in der Wohnung

Der Ehemann/Vater hat in der Küche der gemeinsamen Wohnung ohne Wissen der Ehefrau deren Gespräche mit ihrer Mutter und ihrem Rechtsvertreter aufgenommen. Er hat die WhatsApp-Kommunikation der Frau fotografiert und kopiert, sich Zugang zum Handy der Frau verschafft und zum Zweck des Nachweises eines Drogenkonsums der Frau  auch Haarproben von einer Haarbürste beschafft.


Die so „erworbenen“ Beweismittel (Tondokumente über Telefongespräche sowie einen dazugehörenden USB-Stick und Auszüge aus Chatprotokollen von WhatsApp-Nachrichten) hat der Antragsgegner sowohl im Pflegschafts- als auch im Scheidungsverfahren vorgelegt.

Die Ehefrau (Antragstellerin) fühlt sich in der Wohnung ständig beobachtet und lebt in der Angst, dass jedes Wort, welches sie in der Ehewohnung zu wem auch immer spricht, wieder vom Antragsgegner aufgezeichnet wird. Sie hat auch ein neues Smartphone angeschafft, traut sich aber auch mit diesem nur mehr eingeschränkt zu telefonieren und Nachrichten zu versenden, weil sie fürchtet, dass der Antragsgegner auch dieses „filzt“. Sie lebt in der Angst, dass der Antragsgegner in der Wohnung mit dem Handy fotografiert.

Die Ehefrau begehrte die Wegweisung des Mannes aus der Ehewohnung. In erster und zweiter Instanz unterlag sie.

Der OGH:

Nach § 382b Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf deren Antrag 1. das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung aufzutragen und 2. die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verbieten, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient.

2. Die Behauptungs- und Bescheinigungslast dafür, dass die Ehewohnung nicht der Befriedigung eines „dringenden“ Wohnbedürfnisses eines Ehegatten dient, trifft den Antragsgegner; er hat den Ausnahmefall der anderweitigen Deckung des Wohnbedürfnisses seines Ehegatten zu bescheinigen. Dass der Antragstellerin eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht, hat der Antragsgegner weder konkret behauptet noch bescheinigt. Er beschränkt sich in seiner Revisionsrekursbeantwortung auf bloße Vermutungen dahin, die Antragstellerin könnte sich allenfalls eine andere Wohnung suchen.

3. Die Gründe für die Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO sind verschuldensunabhängig. Es kommt auf die Auswirkungen des bescheinigten Verhaltens und nicht auf das Unrechtsbewusstsein oder die Absichten des Antragsgegners an. „Psychoterror“ ist, weil die Zumutbarkeitsfrage entscheidet, nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen; von Bedeutung ist daher nicht ein Verhalten, das der Durchschnittsmensch als „Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche der Antragstellerin. Hat die Antragstellerin eine erhebliche psychische Beeinträchtigung glaubhaft gemacht, so kann diese Verhaltensweise als Indiz für die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens sprechen. Die subjektive Auslegung des Begriffs „Psychoterror“ kann allerdings nicht so weit gehen, dass jegliches Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, aus einer subjektiven Sichtweise heraus die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens begründen könnte. Die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene nervliche Belastung ist daher noch keine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit.

4. Das vom Antragsgegner zu verantwortende Überwachen und Ausspionieren der Telefonkontakte der Antragstellerin und seine „Beweismittelbeschaffungen“ für die anhängigen Gerichtsverfahren stellen schwerwiegende Vertrauensbrüche und unerträgliche Eingriffe in die Privatsphäre eines Ehegatten dar, die auch im Rahmen eines anhängigen Scheidungsverfahrens keinesfalls zu tolerieren sind. Das Erstgericht hat als bescheinigt angenommen, dass (auch) die widerrechtlich und gegen ihr Wissen erlangten Beweismittel, die intime Details preisgeben, die Antragstellerin belasten. Sie fühlt sich – angesichts des Verhaltens des Antragsgegners durchaus nachvollziehbar – in der Ehewohnung ständig beobachtet, lebt in der Angst, dass jedes Wort vom Antragsgegner aufgezeichnet wird und getraut sich daher nur mehr eingeschränkt, zu telefonieren und Nachrichten zu versenden. Sie leidet auch unter bestimmten vegetativen Beschwerden, für die das beschriebene Verhalten des Antragsgegners offenbar zumindest Mitursache ist. Das ist eine Situation, die der Antragstellerin aufgrund des Verhaltens des Antragsgegners das weitere Zusammenleben unzumutbar macht. Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Rekursgerichts, dass die psychische Gesundheit der Antragstellerin durch das Verhalten des Antragsgegners noch keinen Schaden genommen habe, schlicht nicht nachvollziehbar.

5. Es trifft zwar zu, dass die Parteien außerhalb der Ehewohnung bei einzelnen (bloß stundenweisen) Kontakten mit ihren Kindern teilweise im Beisein von Freunden eine Begegnung ohne offene Konflikte absolvieren konnten. Dies ändert allerdings nichts daran, dass das Verhältnis der Parteien zueinander und auch im Zusammenhang mit ihren Kindern schwer belastet ist und es lässt auch das Verhalten des Antragsgegners in keinem milderen Licht erscheinen.

6. Dass das Erstgericht „aktuell“ keine weiteren Abhöraktionen des Antragsgegners erwartet, ist bloß eine Momenteinschätzung, die angesichts der anhängigen Gerichtsverfahren keine zuverlässige Einschätzung dahin zulässt, dass der Antragsgegner künftig nicht doch wieder einen Bedarf nach dieser Art von Beweismittelbeschaffung erkennt. Diese Einschätzung des Erstgerichts ändert daher am Sicherungsbedürfnis der Antragstellerin nichts.

7.1. Im Ergebnis erweist sich damit das Sicherungsbegehren der Antragstellerin als berechtigt, weshalb die von ihr begehrte einstweilige Verfügung zu erlassen war.

OGH 18.10.2017, 7 Ob 151/17g

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