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Wann liegt eine "gleichteilige Betreuung" vor? | Rechtsanwalt in Wien, Dr. Nademleinsky

Rechtsprechung

Wann liegt eine "gleichteilige Betreuung" vor?

Genügt eine Betreuung von 8:6 innerhalb von 14 Tagen für eine "gleichteilige Betreuung"? Es kommt darauf an...
Der Oberste Gerichtshof spricht zwar von einer „Betreuung des Kindes zu gleichen Teilen“. Dieser und ähnlichen Formulierungen liegt aber nicht das Verständnis zu Grunde, dass zwingend eine völlig gleichteilige Betreuung vorliegen muss und eine Doppelresidenz nicht auch bei einer bloß annähernd gleichteiligen Betreuung vorliegen kann. Fraglich ist aber, ab wann von einer annähernd gleichteiligen Betreuung gesprochen werden kann, wo also die Grenze zwischen einer Doppelresidenz und der Hauptbetreuung durch einen Elternteil mit umfassender Kontaktregelung zum anderen liegt.
 
Für die Ermittlung des Betreuungsausmaßes ist zwar auf die Kontakttage abzustellen, aber nicht in Form einer „Berechnung“ schlicht nach (exakter) stundenweiser Zeiterfassung der persönlichen Anwesenheit und deren Summation; sie ist vielmehr in einer generalisierenden und wertenden Betrachtung vorzunehmen.
 
Im gegenständlichen Fall erfolgte die Betreuung der Tochter (ca 7 Jahre alt) in einem wochenweisen Wechsel. Das Betreuungsverhältnis beträgt bezogen auf Übernachtungen in geraden Kalenderwochen 3:4 (zugunsten des Vaters) und in ungeraden Kalenderwochen 5:2 (zugunsten der Mutter), über einen vierzehntägigen Zeitraum somit insgesamt 8:6 (rund 43 % zu rund 57 %) zugunsten der Mutter. Die Beurteilung, angesichts dieses Überhangs von Betreuungstagen bzw -nächten zugunsten der Mutter und des noch deutlicheren Unterschieds bei den der Vereinbarung entsprechenden Betreuungsstunden (bei 14 Tagen ohne Betreuungszeit im Kindergarten 190 Betreuungsstunden durch die Mutter, 146 Betreuungsstunden durch den Vater), bestehe zeitlich keine annähernd gleichteilige Betreuung im Sinn des Doppelresidenzmodells, ist jedenfalls keine auffallende Fehlbeurteilung.
 
Daran ändert sich auch nichts, wenn man für die Beurteilung des Ausmaßes der Betreuung die tatsächliche Betreuung im gesamten (Kalender-)Jahr heranzieht und die Betreuung in den Ferien in gleichem Maße berücksichtigt. Die Ferienregelungen sehen zwar eine gleichteilige Betreuung vor, sodass zwar nach Kontakttagen insgesamt zu Gunsten des Vaters ein etwas anderes Betreuungsverhältnis erreicht wird, diese rechnerische Änderung kann aber die wertende Gesamtbetrachtung des Rekursgerichts nicht ausschlaggebend in Frage stellen.
 
Das vom Rekursgericht erzielte Ergebnis steht – auch wenn diese nicht ohne Weiteres auf Obsorgeentscheidungen zu übertragen ist – durchaus im Einklang mit der Rechtsprechung zum „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell“. Im vorliegenden Fall bewegt sich das Betreuungsverhältnis im Grenzbereich einer gleichwertigen Betreuung im Sinn des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells.

OGH 5 Ob 27/24t