Scheidung bei Gewalt und Beschimpfungen

Rechtsprechung

Scheidung bei Gewalt und Beschimpfungen

Die Streitteile haben am 22. 3. 1997 die Ehe geschlossen. Der Ehe entstammen drei Kinder. Bereits vor der Eheschließung gingen die Streitteile zeitweise geringschätzig miteinander um; eine herzliche und innige Beziehung führten sie seit jeher nicht.


Die Haushaltsführung sowie Erziehung und Betreuung der Kinder übernahm überwiegend die Beklagte. Der Kläger verbrachte aufgrund seiner Tätigkeit als Arzt wenig Zeit zu Hause und verrichtete auch des Öfteren Nachtdienste. Bezüglich der Kindererziehung gab es keine gemeinsame Linie der Streitteile; auch haben sich die Kinder vom Kläger zunehmend distanziert. Gleichzeitig brachte sich der Kläger kontinuierlich weniger in die Kindererziehung ein.

Der Kläger ist Choleriker und verliert wegen Kleinigkeiten schnell die Fassung, wobei er dann regelmäßig aggressiv, ausfallend laut und ungehalten wird. Dieses Verhalten legt er außerhalb des Familienkreises nicht an den Tag. Es kommt vor, dass der Kläger Gegenstände herumwirft oder beim Autofahren die Geschwindigkeit - ohne Rücksicht auf die Sicherheit der Mitfahrer - überschreitet. Sowohl der Kläger als auch die Beklagte beschimpften sich regelmäßig gegenseitig, wobei die Beklagte unter anderem den Kläger auch öffentlich verspottete. Der Kläger wiederum demütigte die Beklagte etwa, indem er Dinge auf den Boden warf und sie dann aufforderte, die so entstandene Verunreinigung wieder zu entfernen. Einmal sperrte der Kläger die Beklagte im Zuge eines Streits auf den Balkon aus.

Sowohl der Kläger als auch die Beklagte sind gegeneinander wiederholt wechselseitig tätlich geworden und haben sich körperlich angegriffen. So haben sie sich etwa gegenseitig mit Handtüchern attackiert, geohrfeigt, geschubst und mit Gegenständen beworfen. Die Beklagte hat den Kläger auch mit Gegenständen (zB Föhn) geschlagen bzw ihn bei einem Vorfall die Stiege hinuntergeschubst und ihm einen Topf nachgeworfen.

Die Beklagte hat sich im Zuge der Streitigkeiten mehrmals im Schlafzimmer eingesperrt, woraufhin der Kläger die Schlafzimmertüre aufgebrochen hat. Auch hat der Kläger die Beklagte des Öfteren am Benutzen des Pkw gehindert, indem er die Kennzeichen entfernte bzw die Luft aus den Reifen ließ. Zwischen dem Frühjahr 2009 und dem Frühjahr 2010 zog der Kläger schließlich in das Erdgeschoss des ehelichen Wohnhauses, um weiteren Streitigkeiten mit der Beklagten zu entgehen. Seitdem kochte die Beklagte nicht mehr für ihn, sodass er sich seine Mahlzeiten zum Teil im Freien auf einer Herdplatte zubereitete. Zeitweise hatte die Beklagte den Kläger auch von der Benutzung des Obergeschosses durch Montage einer sogenannten „Einbrecherkralle“ gänzlich ausgeschlossen. Dieser wiederum hat sich einmal mit einem Bohrer gewaltsam Zugang zum Obergeschoss verschafft.

Ausgehend von diesen Feststellungen schied das Erstgericht die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Streitteile.

Der OGH:

Ausgehend von den Feststellungen der Vorinstanzen ist davon auszugehen, dass beiden Teilen Tätlichkeiten und Gewaltausübung vorzuwerfen sind. Jede körperliche Misshandlung steht aber außerhalb des Rahmens, in dem Reaktionshandlungen auf vorangegangenes ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten im Zusammenleben normal gesitteter Eheleute noch verständlich und entschuldbar sein können und nicht als schwere Eheverfehlungen zu werten wären (RIS-Justiz RS0057020). Seit dem Eherechtsänderungsgesetz 1999 ist in § 49 Satz 2 EheG ausdrücklich die Zufügung körperlicher Gewalt als schwere Eheverfehlung angeführt. Bei ihr kommt es - anders als beim ebenfalls genannten „schweren“ seelischen Leid - auf die Schwere der Beeinträchtigung grundsätzlich nicht an. Die besondere Hervorhebung körperlicher Gewaltakte im Gesetzeswortlaut bedeutet, dass der Gesetzgeber in dieser Hinsicht einen objektiven, also insbesondere einen von der persönlichen Lebenssituation der Ehegatten unabhängigen Maßstab an das Verhalten der Ehegatten anlegen wollte. Jegliche Gewalt soll in Ehe und Familie prinzipiell verpönt sein. Das gewalttätige Verhalten eines Ehegatten kann daher auch nicht als bloß „milieubedingte Entgleisung“ entschuldigt werden (RIS-Justiz RS0057020 [T2]).

Die festgestellten Tätlichkeiten stellen jedenfalls schwere Eheverfehlungen beider Streitteile dar. Aufgrund des besonderen Unwerts dieser Eheverfehlungen kann auch nicht erfolgreich eingewendet werden, dass diese dem „normalen Zustand“ der Beziehung entsprechen.

Sofern das Berufungsgericht die Auffassung vertritt, es sei bereits vor der Ehe zu beidseitigem Fehlverhalten gekommen, sodass dieses bei der Verschuldensabwägung mangels Kausalität für die Zerrüttung nicht zu berücksichtigen sei, ist dem entgegenzuhalten, dass sich aus den Feststellungen des Erstgerichts zwar ergibt, dass es zwischen den Streitteilen schon vor der Eheschließung wiederholt zu Streitigkeiten und einem geringschätzigen Umgang miteinander gekommen war; es wurde jedoch nicht festgestellt, dass diese Konflikte dasselbe Ausmaß wie die Auseinandersetzungen während der Ehe erreicht hätten. Hinweise dafür, dass es bereits vor der Eheschließung zu körperlichen Misshandlungen gekommen wäre, ergeben sich aus den Feststellungen nicht. Ebensowenig ist aus den Feststellungen ersichtlich, dass die Streitigkeiten bereits damals mit der gleichen Intensität geführt worden wären. Im Übrigen wäre, selbst wenn man - abweichend von den Feststellungen - davon ausginge, dass die Verfehlungen der Streitteile bereits vor der Eheschließung eine ähnliche Intensität erreicht hätten, zu berücksichtigen, dass die Zerrüttungswirkung einer Eheverfehlung nicht sofort eintreten muss, sondern sich auch erst allmählich und erst im Zusammenhang mit anderen Eheverfehlungen auswirken kann (RIS-Justiz RS0056734).

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts kann daher der Umgang der Eheleute miteinander bei der Beurteilung des Verschuldens im Rahmen der hier gebotenen Gesamtschau nicht gänzlich ausgeblendet werden, zumal deren Zerrüttungswirkung nicht durch die Feststellungen widerlegt wird.

Auch wiederholte Beschimpfungen, bei denen es sich nicht um milieubedingte Entgleisungen handelt, stellen eine schwere Eheverfehlung dar (RIS-Justiz RS0055652 [T1]).

Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kann keine Rede davon sein, dass das Verschulden der Beklagten fast völlig hinter jenes des Klägers zurücktreten würde, mag auch das Verschulden des Klägers etwas schwerer wiegen. Den vom Berufungsgericht für die Begründung des überwiegenden Verschuldens herangezogenen Verfehlungen des Klägers, insbesondere die Hinderung der Benutzung des Pkw durch die Beklagte oder die Anwendung von Sachgewalt, kommt dabei im Verhältnis zu den festgestellten groben Beschimpfungen unter Anwendung von körperlicher Gewalt gegen den Ehepartner nur untergeordnete Bedeutung zu. Ein bloß zahlenmäßiges Überwiegen der Eheverfehlungen des Klägers vermag zudem kein überwiegendes Verschulden zu begründen (vgl RIS-Justiz RS0056171 [T8]).

Eheverfehlungen, die in den Zeitraum nach Eintritt der völligen Zerrüttung der Ehe fallen, spielen bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle (RIS-Justiz RS0057338). Eheverfehlungen nach Zerrüttung der Ehe sind vielmehr nur dann von Bedeutung, wenn sie der verletzte Ehegatte bei verständiger Würdigung noch als zerrüttend empfinden durfte oder eine Vertiefung der Zerrüttung durch diese Verfehlungen nicht ausgeschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0057338 [T7]). Demgegenüber wertete das Berufungsgericht ohne nähere Begründung Verhaltensweisen des Klägers nach der Zerrüttung der Ehe als (schwere) Eheverfehlungen, während es die Handlungen der Beklagten in diesem Zeitraum völlig unberücksichtigt lässt.

Zusammenfassend ist daher vom gleichteiligen Verschulden der Ehegatten auszugehen, sodass das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen war.

OGH 24.10.2013, 6 Ob 149/13z

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