Pflichtteilsverzicht des Adoptivkindes bei Adoption wirksam
Der Kläger - der Adoptivsohn - hatte nach Beendigung der Handelsschule im 17. Lebensjahr eine Lehre im Unternehmen des (zwischenzeitlich verstorbenen) Ehemanns der Erblasserin aufgenommen. Der kinderlose Ehemann der Erblasserin hatte die Idee, den Kläger, den er als Nachfolger seines Unternehmens sah, zu adoptieren. Zugleich mit der Adoption wurde ein Pflichtteilsverzichtsvertrag geschlossen.Dem Kläger war in diesem Zusammenhang die spätere Unternehmensübergabe wichtig, die ihm der Ehemann der Erblasserin in Aussicht gestellt hatte. Bei der Unterfertigung des Adoptionsvertrags wurde über das Erbrecht nach den Adoptiveltern nicht gesondert gesprochen. Dem Kläger war jedoch bewusst, dass ihm aufgrund der Adoption grundsätzlich ein Erbrecht nach seinen Wahleltern zustehe. Ihm kam es dabei auf das Unternehmensvermögen, nicht aber auf das Privatvermögen seiner Wahleltern an. Er wollte später das Unternehmen alleine leiten können. Eine private Verbindung, wie es einem Familienverhältnis entspricht, bauten die Wahleltern mit dem Kläger nie auf. Der Kläger war zwar fallweise vor allem für seinen Wahlvater zur Stelle, die Beziehung beschränkte sich aber vorwiegend auf das Geschäftliche.
Im mit Notariatsakt vom 3. 7. 1971 geschlossenen Pflichtteilsverzichtsvertrag wurde auf den am selben Tag geschlossenen Adoptionsvertrag Bezug genommen. Für den Fall, dass diese Adoption in Rechtskraft erwächst, verzichtete der Kläger, ohne hiefür ein besonderes Entgelt erhalten zu haben, unwiderruflich für sich und seine gesetzlich erbberechtigten Nachkommen auf das ihm nach seinen Adoptiveltern zustehende gesetzliche Pflichtteilsrecht einschließlich aller Schenkungseinrechnungsansprüche gemäß § 785 ABGB. Die Rechtswirksamkeit dieses Notariatsakts wurde von der Rechtskraft des erwähnten Adoptionsvertrags abhängig gemacht. Die Möglichkeit, die Adoption ohne Pflichtteilsverzicht durchzuführen, boten die Wahleltern dem Kläger nicht an.
1989 wurde das Unternehmen verkauft. Damit wurden die Ziele und Vorstellungen des Klägers, die er im Zusammenhang mit der Adoption hatte, nämlich, dass er das Unternehmen nach dem Tod beider Wahlelternteile als alleiniger Inhaber leiten könne, zunichte gemacht. Dem Kläger war beim Unternehmensverkauf bewusst, dass er das Unternehmen nunmehr, in welcher Gesellschaftsform auch immer, nicht mehr erben konnte.
Aufgrund des Testaments der Erblasserin vom 15. 7. 2000 wurde der Nachlass dem Beklagten am 21. 1. 2011 rechtskräftig eingeantwortet.
Der Kläger begehrte in Form einer Stufenklage vom Beklagten zunächst Rechnungslegung über den reinen Nachlass nach der Erblasserin und weiters die Zahlung der Hälfte des sich aus der Abrechnung ergebenden reinen Nachlasswerts. Das Erbrecht sei eine zwingende Rechtsfolge der Adoption, weshalb der seinerzeit abgeschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag nichtig und sittenwidrig sei. Vor Rechtswirksamkeit der Adoption sei keine gültige Verfügung über die Erbrechte möglich. Der Verzicht sei hier eine Bedingung für die Adoption des Klägers gewesen und daher unzulässig. Ihm gebühre daher die Hälfte des reinen Nachlasses als Pflichtteil.
Der OGH: Ein Verzicht auf den Pflichtteil hat insbesondere den Zweck, dem Erblasser die unbeschränkte letztwillige Verfügung über seinen Nachlass zu verschaffen, schließt aber nicht aus, dass er von der dadurch erlangten Freiheit keinen Gebrauch macht. Den gegen den Erbverzichtsvertrag bestehenden verschiedenen Bedenken wurde durch die Einführung der Formvorschrift (Notariatsakt oder gerichtliches Protokoll) Rechnung getragen. Damit wird nun die besondere Bedeutung dieses Rechtsgeschäfts für den Verzichtenden hervorgehoben. Wer unter den vorgeschriebenen Formen dennoch auf sein Erbrecht verzichtet, kann nur noch auf die allgemeinen Möglichkeiten der Vertragsanfechtung (§§ 865 ff ABGB) verwiesen werden.
Da der hier zu beurteilende Pflichtteilsverzichtsvertrag in Notariatsaktsform geschlossen wurde und der Erbverzichtsvertrag nicht bedingungsfeindlich ist, steht der Umstand der Wirksamkeit nicht entgegen, dass der Pflichtteilsverzicht von der Genehmigung des Adoptionsvertrags abhängig gemacht wurde.
Wenn der Kläger sich darauf beruft, dass der hier zu beurteilende Pflichtteilsverzicht als Umgehung der gesetzlichen Gleichstellung des Wahlkindes mit einem ehelichen Kind anzusehen sei, weil das durch die Adoption begründete Erbrecht in derselben juristischen Sekunde durch den Pflichtteilsverzicht wieder beseitigt würde, ist ihm entgegenzuhalten, dass es auch ehelichen Kindern frei steht, gemäß § 551 ABGB auf ihr Erbrecht, aber auch nur auf einen allfälligen Pflichtteil zu verzichten. Die mit dem Adoptionsgesetz BGBl 1960/58 weitgehend verwirklichten Grundsätze der „vollen“ oder „starken“ Adoption, bei welcher das Wahlkind als vollwertiges Mitglied in die neue Familie eintritt, bedeuten nur, dass im Gegensatz zur davor geltenden Rechtslage keine individuelle Gestaltung der Rechtswirkungen der Adoption selbst möglich ist, nicht aber, dass für eheliche Kinder geltende Regeln über den Pflichtteilsverzicht für Wahlkinder nicht gelten sollen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger auch nicht auf sein Erbrecht als solches, sondern nur auf den Pflichtteil verzichtet hat, die durch die Adoption bewirkten erbrechtlichen Bande also keineswegs zur Gänze beseitigt werden sollten.
Weder lässt sich das Verhältnis zwischen Wahleltern und eigenberechtigtem Wahlkind generell mit dem Verhältnis Arbeitgeber zu Arbeitnehmer vergleichen, noch ist nach der konkreten Fallgestaltung hier vom Vorliegen einer Drucksituation auszugehen, welche im Sinne des klägerischen Vorbringens die Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts begründen könnte. Es ist vor allem nicht zu erkennen, inwieweit der Kläger den Adoptionsvertrag etwa zur Existenzsicherung schließen hätte müssen, war er doch 23-jährig nach Berufsausbildung bereits einige Jahre erwerbstätig.
Auch ein Wahlkind, das unter Einhaltung der im § 551 ABGB vorgeschriebenen Formen auf sein gegenüber den Annehmenden aufgrund der Adoption entstandenes Erbrecht (Pflichtteilsrecht) verzichtet, kann nur nach den allgemeinen Möglichkeiten der Vertragsanfechtung (§§ 865 ff ABGB) die Wirksamkeit des Erbrechts-(Pflichtteils-)verzichts beseitigen.
Die Klage wurde daher abgewiesen.
OGH 2.8.2012, 4 Ob 128/12w
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