Kontaktrecht des biologischen Vaters
Das Mädchen wird von der Mutter und ihrem Ehemann, dem rechtlichen Vater, betreut und wächst seit seiner Geburt in deren gemeinsamen Haushalt in Österreich im Familienverband auf. Der - behauptete - biologische Vater wünscht ein Kontaktrecht.Unstrittig ist:
Die Mutter I***** brachte am 17. Juli 2014 ihre Tochter E***** zur Welt und war zu diesem Zeitpunkt seit 5. Juni 2014 mit Ing. A***** (rechtlicher Vater) verheiratet. Das Mädchen wird von der Mutter und dem rechtlichen Vater (Eltern oder Antragsgegner) betreut und wächst seit seiner Geburt in deren gemeinsamen Haushalt in Österreich im Familienverband auf, zu dem auch ein derzeit etwa siebenjähriger Sohn der Mutter zählt, der vom rechtlichen Vater adoptiert wurde.
Im Zeitraum zwischen 18. und 20. Oktober 2013 kam es zwischen der Mutter und dem in Großbritannien wohnhaften Antragsteller zu einem Intimverkehr. Seit ein Schwangerschaftstest bei der Mutter im November 2013 positiv ausfiel, behauptet der Antragsteller, er sei der Vater des Kindes. Ende November 2013 sandte ihm die Mutter eine SMS-Nachricht mit den Worten, er hätte sie geschwängert. Später übermittelte sie ihm auch ein Ultraschallbild. Im Jänner 2014 begleitete der Antragsteller die Mutter über seinen Wunsch zu einer Ultraschalluntersuchung in Österreich.
Am 17. Oktober 2014 begehrte der Antragsteller beim Erstgericht (ua) die Feststellung seiner Vaterschaft zu dem Kind. Er habe der Mutter in der empfängniskritischen Zeit im Oktober 2013 mehrmals beigewohnt. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 28. November 2014 wies das Erstgericht den Antrag zurück, weil ein Antrag auf Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter gemäß § 151 Abs 2 ABGB nur vom Kind gegen den Ehemann der Mutter und von diesem gegen das Kind gestellt werden könne.
Der Antragsteller hat das Kind bisher nie persönlich gesehen oder kennengelernt, weil das die Mutter ablehnt.
Der OGH:
A. Anzuwendendes Recht:
Angesichts des Wohnsitzes des Antragstellers im Vereinigten Königreich besteht Anlass für eine amtswegige kollisionsrechtliche Prüfung des anzuwendenden Rechts (§ 2 IPRG).
A.1. Nach Art 16 Abs 1 KSÜ, das gemäß § 53 Abs 1 IPRG dem § 24 IPRG vorgeht, bestimmt sich die Zuweisung der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes. Da dieser in Österreich liegt, bestimmen §§ 143 und 144 Abs 1 Z 1 ABGB, dass die Antragsgegner Mutter und Vater des Kindes sind, und § 177 Abs 1 ABGB, dass beiden die gemeinsame Obsorge zukommt.
A.2. Die Regelung des Kontaktrechts fällt in den sachlichen Anwendungsbereich des KSÜ und der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000, Brüssel IIa-VO (Nademleinsky/Neumayr IFR² Rz 08.02 und 08.16). Beide Instrumente (Art 5 Abs 1 KSÜ/Art 8 Abs 1 Brüssel IIa-VO) sehen zur internationalen Zuständigkeit den auch hier anzuwendenden Grundsatz vor, dass an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes anzuknüpfen ist. Für die Frage nach dem anzuwendenden Recht legt das KSÜ den Grundsatz fest, dass das für die Entscheidung zuständige Gericht sein eigenes Recht anwenden soll (Art 15 Abs 1 KSÜ), das nach Art 21 Abs 1 KSÜ nicht das Kollisionsrecht umfasst. Wegen des von Anfang an in Österreich gelegenen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes sind die österreichischen Gerichte international zuständig, sodass österreichisches Sachrecht anzuwenden ist (RIS-Justiz RS0127234 [T1]).
B.
Wenn der Antragsteller sein bestehendes oder früher bestandenes qualifiziertes Verhältnis zum Kind (iSd Judikatur des EGMR) schlüssig behauptet, sind diese Behauptungen daher auch dann bei der Prüfung der Antragslegitimation zu unterstellen, wenn sie von den Antragsgegnern bestritten werden. Im Ergebnis stimmt damit die Rechtsansicht des VfGH überein, gemäß § 188 Abs 2 ABGB sei ein Dritter bereits aufgrund der Behauptung seiner biologischen Vaterschaft antragslegitimiert. Lassen sich die die Antragslegitimation begründenden Behauptungen in der Folge nicht erweisen, ist der Antrag abzuweisen, weil die Prüfung eben im Rahmen der Sachentscheidung erfolgt.
Eine inzidente Vaterschaftsfeststellung im Kontaktrechtsverfahren des angeblich leiblichen Vaters nach § 188 Abs 2 Satz 1 ABGB ist daher zulässig.
Besteht daher die Möglichkeit, die strittige Tatbestandsvoraussetzung der biologischen Vaterschaft des Antragstellers in einer die Eltern nicht (oder wenig) beeinträchtigenden Weise zu klären (zB weil ihnen die Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers ohnehin bekannt ist) und ist die Probenentnahme beim Kind (zB wegen seines geringen Alters) möglich, ohne ihm den Grund dafür auseinandersetzen zu müssen (also jedenfalls ohne Gefährdung des Kindeswohls), dann hat die Abstammungsklärung vorweg zu erfolgen, weil der Eingriff in das Familienleben so am Geringsten gehalten werden kann.
Wird die Ablehnung eines Kontaktrechts eines angeblich biologischen, aber nicht rechtlichen Vaters nach § 188 Abs 2 Satz 1 ABGB nur damit begründet, dass es nicht dem Kindeswohl diene, wäre es daher nicht gerechtfertigt, allein deshalb auch ein Informationsrecht zu verneinen.
E.6. Für den zweiten Rechtsgang ist aber noch Folgendes zu beachten:
Nach dem Vorbringen der Antragsgegner, das einen Intimverkehr der Mutter mit dem Antragsteller im empfängniskritischen Zeitraum gar nicht in Abrede stellt, muss ihnen die Möglichkeit seiner biologischen Vaterschaft bekannt sein. Darauf, dass die Aktenlage nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, dass der rechtliche Vater schon bei der Eheschließung mit der Mutter die Abstammung des damals noch ungeborenen Kindes von einem anderen Mann in Betracht ziehen musste, kommt es daher gar nicht an: Ist doch schon die nunmehr unstrittige Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers ein Umstand, der eine gravierende Beeinträchtigung der Antragsgegner als Eltern durch die Abstammungsklärung nicht erwarten lässt. Angesichts des Alters des Mädchens von derzeit etwa dreieinhalb Jahren ist nach Ansicht des erkennenden Senats keine Notwendigkeit (bzw sinnvolle Möglichkeit) gegeben, das Mädchen über den Grund der Probenentnahme für ein DNA-Gutachten zu informieren, sodass eine Gefährdung des Kindeswohls durch die Abstammungsklärung von vornherein ausgeschlossen erscheint. In dieser Konstellation erweist sich die Klarstellung der biologischen Vaterschaft als vorrangig (und ist daher vor der Beurteilung der „Kindeswohldienlichkeit“ eines Kontakts) vorzunehmen (vgl B.12.3.), soweit nicht davon auszugehen ist, dass eine „Kindeswohldienlichkeit“ des Kontakts aus allein in der Sphäre des Antragstellers liegenden Gründen (s die Vorwürfe der Antragsgegner gegen die Person des Antragstellers und sein Verhalten) unwahrscheinlich ist. Daher wird erst dann, wenn von der biologischen Vaterschaft des Antragstellers auszugehen ist, die „Kindeswohldienlichkeit“ eines Kontakts des Kindes zum Antragsteller zu prüfen sein. Zu den relevanten Kriterien – sowohl auf Seiten der rechtlichen Familie, des Kindes als auch des Antragstellers – werden unter Beiziehung eines (vom Antragsteller bereits beantragten) kinderpsychologischen Sachverständigen konkrete Feststellungen zu treffen sein, ohne die eine abschließende Beurteilung auch dieser Frage nicht möglich ist.
OGH 21.2.2018, 3 Ob 130/17i
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