Indisches Unterhaltsverfahren vs österreichisches Unterhaltsverfahren
Im vorliegenden Verfahren erhob die Kl eine Unterhaltsklage in Form einer Stufenklage. Der Bekl erhob die Einrede der internationalen Unzuständigkeit und der internationalen Streitanhängigkeit. Die Kl hätte seit Juli 2013 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Indien. Die Kl habe vor dem indischen Gericht bereits die Scheidungsklage eingebracht, mit der sie auch Ehegattenunterhalt begehre. Dieses Verfahren sei noch streitanhängig. Die vorliegende Klage sei daher zurückzuweisen.
Das ErstG verwarf die Einreden des Bekl. Die internationale Zuständigkeit sei gegeben. Außerhalb des Anwendungsbereichs eigenständiger Regeln über die internationale Rechtsanhängigkeit seien die (innerstaatlichen) Regeln über die Rechts- bzw Streitanhängigkeit im Hinblick auf ausländische Verfahren nur dann anzuwenden, wenn das ausländische Urteil im Inland anerkennungsfähig sei. Mit Indien bestünden weder bilaterale noch multilaterale Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsurteilen.
Das RekG bestätigte diese Entscheidung und ließ den RevRek zu, weil zur Frage einer Anerkennungsprognose bei Anwendung von Art 12 EuUntVO höchstgerichtliche Rsp fehle.
Der OGH wies den RevRek zurück.
Aus den Entscheidungsgründen
Die als erheblich qualifizierte Frage stellt sich im vorliegenden Verfahren in Wirklichkeit nicht.
Berücksichtigung der Rechtshängigkeit nach Art 12 EuUntVO
Art 12 EuUntVO enthält eine Regelung über die (internationale) Rechtsanhängigkeit. Dadurch sollen bei Klagen zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs einander widersprechende Entscheidungen ausgeschlossen werden. Dementsprechend sollen Parallelverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten vermieden werden, indem das Verfahren bei dem später angerufenen Gericht zunächst ausgesetzt wird, bis das zuerst angerufene Gericht über seine internationale Zuständigkeit entschieden hat.
Art 12 EuUntVO ist weitestgehend wortgleich mit Art 27 EuGVVO 2001 sowie inhaltsgleich mit Art 29 EuGVVO 2012 und Art 19 Brüssel IIa-VO. Für die Auslegung kann demnach die umfangreiche Rsp und Lit zu den erwähnten Bestimmungen der EuGVVO herangezogen werden.
Die in Rede stehenden Bestimmungen über die internationale Rechtsanhängigkeit gelangen nur dann zur Anwendung, wenn die zu beurteilenden (identen) Klagen vor Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten erhoben werden. Wurde eine der Klagen in einem Drittstaat anhängig gemacht, so finden – grundsätzlich, außer es bestünde eine gegenteilige Jud des EuGH – die nationalen oder staatsvertraglichen Regelungen der Mitgliedstaaten über die Rechtsanhängigkeit Anwendung. Die EuGVVO und ebenso die EuUntVO zwingt die Mitgliedstaaten daher nicht zur Beachtung der Rechtsanhängigkeit in einem Drittstaat und hindert dementsprechend das später angerufene Gericht eines Mitgliedstaats nicht an einer Sachentscheidung (vgl dazu auch EuGH C-81/02, Owusu). Eine analoge Anwendung von Art 27 EuGVVO 2001 bzw Art 12 EuUntVO kommt nicht in Betracht (Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art 27 Brüssel I-VO, Rz 3).
Die Frage der Beachtung einer drittstaatlichen Rechtsanhängigkeit, also einer vorherigen Rechtsanhängigkeit in einem Drittstaat, richtet sich somit gegebenenfalls nach dem staatsvertraglichen Recht oder sonst nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, konkret nach der lex fori.
Dieses Ergebnis ist auch bereits Gegenstand der Rsp des OGH. Wie schon dargelegt, enthält Art 19 Brüssel IIa-VO eine inhaltsgleiche Regelung über die internationale Rechtsanhängigkeit. In der Entscheidung 8 Ob 116/11h hat der Oberste Gerichtshof dazu ausgesprochen, dass die genannte Bestimmung auf eine Rechtssache mit Drittstaatenbezug nicht zur Anwendung gelange. Wie sich schon ausdrücklich aus der Formulierung in Art 19 Abs 1 Brüssel IIa-VO „bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten“ ergebe, regle Art 19 nur das Verhältnis zwischen den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten. Die Frage, ob die Rechtsanhängigkeit in einem Drittstaat gegenüber einem inländischen Verfahren zu beachten sei, bestimme sich daher ausschließlich nach der lex fori, auch wenn sich die eigene Zuständigkeit des inländischen Gerichts (aufgrund der universellen Anwendbarkeit der Zuständigkeitstatbestände) nach der Brüssel IIa-VO bestimme. Auf die Regelung der Rechtsanhängigkeit in Art 19 Brüssel IIa-VO und die darin normierte Vorgangsweise (vgl 7 Ob 171/09m) könne sich die (dortige) Kl nicht berufen. Damit verbleibe es bei der Beurteilung der Rechtsanhängigkeit nach dem rein nationalen Verfahrensrecht.
Für den Anlassfall ergibt sich somit, dass sich der Bekl nicht auf Art 12 EuUntVO stützen kann.
Berücksichtigung der Rechtshängigkeit nach der lex fori
Nach Maßgabe der lex fori sind die Regeln über die Rechtsanhängigkeit im Hinblick auf ein ausländisches Verfahren nur dann anzuwenden, wenn das (zu erwartende) ausländische Urteil im Inland anerkennungsfähig wäre. Ein anhängiges ausländisches Verfahren stellt daher nur dann ein Prozesshindernis dar, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich anerkannt und vollstreckt werden kann (RIS-Justiz RS0120264).
Die Anerkennung und Vollstreckung eines Unterhaltstitels eines indischen Gerichts in Österreich scheidet aus, weil es an der formellen Gegenseitigkeit iSd § 79 Abs 2 EO mangelt.
Insgesamt ergibt sich somit, dass die Vorinstanzen die Einrede der internationalen Streitanhängigkeit des Beklagten auf der Basis gesicherter Rsp zutreffend verworfen haben.
Anmerkung:
Ob ein Unterhaltsverfahren vor einem ausländischen Gericht den Einwand der internationalen Streitanhängigkeit (Rechtshängigkeit) für ein später eingeleitetes inländisches Verfahren begründet, ist differenziert danach zu beurteilen, ob das Verfahren in einem anderen Mitgliedsstaat der EU, einem Vertragsstaat des LGVÜ (Norwegen, Schweiz und Island) oder in einem Drittstaat anhängig gemacht wurde. Die Rechtshängigkeit vor den Gerichten eines Drittstaates regelt die EuUVO nicht, das hat der OGH nun ausdrücklich klargestellt. Sie ist vielmehr nach nationalem Verfahrensrecht zu beantworten: die Streitanhängigkeit ist (nur) dann zu berücksichtigen, wenn die ausländische Entscheidung voraussichtlich im Inland anerkannt und vollstreckt werden kann.[1] Dazu muss gem § 79 Abs 2 EO die Gegenseitigkeit durch einen Staatsvertrag oder eine Verordnung verbürgt sein. Eine solche Gegenseitigkeit ist mit Indien nicht verbürgt. Die Ehefrau kann mit einer indischen Unterhaltsentscheidung in Österreich nichts anfangen. Daher kann das anhängige indische Unterhaltsverfahren auch kein Unterhaltsverfahren in Österreich blockieren. Im Ergebnis wird es also eine Unterhaltsentscheidung in Indien und eine weitere in Österreich geben.
OGH 17.08.2016, 8 Ob 80/16x[1] So bereits 7 Ob 139/99p für Südafrika; vgl auch 2 Ob 274/08w im Verhältnis zu Ägypten.