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Englisches Unterhaltsrecht im Provisorialverfahren
Das Ehepaar lebte bis 1995 in New York, von 1995 bis 1998 in Boston und zog 1998 nach London. Die Ehefrau wohnt nach wie vor in der ehemals gemeinsamen Ehewohnung in London. Sie begehrt monatlichen Unterhalt von 150.000 EUR.
Die antragstellende Ehefrau vertritt die Rechtsansicht, es sei aufgrund von Art 15 EuUVO nach Art 3 Abs 1 HUP 2007 das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten anzuwenden, hier also englisches Unterhaltsrecht, wonach die vorgeworfenen Verwirkungshandlungen bereits abstrakt keine Rolle spielen könnten. Sie verwies dazu ua auf eine diesbezügliche, von ihr vorgelegte Eidesstättige Erklärung einer englischen Rechtsanwältin. Daran hielt sie in ihrer Revisionsrekursbeantwortung fest und führte ua aus, auch im vorliegenden Provisorialverfahren dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass das englische Recht eine Unterhaltsverwirkung nicht kenne und deshalb dem zentralen Thema des Verfahrens nach englischem Recht keine Relevanz zukomme.Dem gegenüber steht der Ehemann auf dem Standpunkt, eine Unterhaltsverwirkung sei auch im englischen Recht ausdrücklich gesetzlich vorgesehen. Mangels eindeutiger Bestimmbarkeit des ausländischen Rechts sei im Provisorialverfahren wegen besonderer Dringlichkeit österreichisches Recht anzuwenden. Soferne man von einer Anwendbarkeit des HUP 2007 ausgehen wollte, stünde die Anwendung eines anderen Sachrechts im Widerspruch zu dessen Art 5, weil der vorliegende Provisorialantrag auf Unterhalt untrennbar mit dem Scheidungsverfahren verbunden sei, in dem unzweifelhaft österreichisches Recht anzuwenden sei. Dieses habe daher eine nähere Verbindung zur Ehe. Der Ehemann wendete sich ausdrücklich gegen die Anwendung englischen Rechts und „stellte klar“, dass gemäß Art 5 HUP 2007 auch auf das gegenständliche Unterhaltsverfahren österreichisches Recht anzuwenden sei.
Zur Anwendung fremden Sachrechts wurde Folgendes erwogen:
2.1. Ist fremdes Recht maßgebend, so ist es nach § 3 IPRG von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich – entsprechend der im Ursprungsland durch die herrschende Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis – anzuwenden.
Es ist gemäß § 4 Abs 1 IPRG von Amts wegen zu ermitteln, wobei nach der demonstrativen Aufzählung in dieser Bestimmung zulässige Hilfsmittel dafür auch die Mitwirkung der Beteiligten, Auskünfte des Bundesministeriums für Justiz und Sachverständigengutachten sind. Dem Gericht stehen jedoch alle Erhebungsquellen offen (Neumayr in KBB5 § 4 IPRG Rz 1). Es muss sich die entsprechenden Kenntnisse von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens selbst verschaffen, sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Sache ausländischem Recht unterliegen könnte. Ungeachtet der in § 4 Abs 1 IPRG vorgesehenen Mitwirkungspflichten treffen die Parteien keine Behauptungs- und Beweis- oder Bescheinigungspflichten zum fremden Recht, die Ablehnung der Mithilfe bleibt sanktionslos (Neumayr in KBB5 § 4 IPRG Rz 1). Wie sich das Gericht die notwendigen Kenntnisse des fremden Rechts verschafft, liegt in seinem Ermessen.
2.2. Die in § 4 Abs 1 IPRG normierte amtswegige Ermittlungspflicht besteht nicht unbeschränkt; sie ist insbesondere an die jeweiligen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten und Schranken gebunden, wobei die Angemessenheit der Frist iSd § 4 Abs 2 IPRG von der Dringlichkeit des Einzelfalls abhängt. In nicht dringlichen Fällen darf die Frist nicht zu knapp bemessen werden, die sofortige Anwendung österreichischen Rechts ohne vorherige ernsthafte Bemühung, das bedeutsame ausländische Sachrecht zu ermitteln, ist unzulässig. Ausländisches Sachrecht ist im Provisorialverfahren im Allgemeinen schon dann anzuwenden, wenn die Richtigkeit des erhobenen Materials wahrscheinlich ist. Jedenfalls im Eilverfahren zur Gewährung einstweiligen Unterhalts scheidet etwa auch die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus.
2.3. Die Frage nach der gebotenen Intensität und der angemessenen Dauer der nach den Grundsätzen der Rechtsprechung erforderlichen Bemühungen zur Ermittlung des fremden Rechts entzieht sich einer allgemeinen Aussage des Obersten Gerichtshofs. Sie lässt sich typischerweise nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls beantworten und wirft deshalb, von einer gravierenden Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
2.4. Mangelt es an der Ermittlung des fremden Rechts durch die Vorinstanzen, die nach § 4 Abs 1 IPRG von Amts wegen durchzuführen ist, so liegt darin ein Verfahrensmangel besonderer Art, der dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu unterstellen ist und zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führt. Die allfällige unrichtige Lösung der Rechtsanwendungsfrage ist im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Sache gegebenenfalls sogar gegen den Willen der Parteien wahrzunehmen. Voraussetzung ist nur, dass überhaupt in die rechtliche Beurteilung einzutreten ist, dh dass eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge vorliegt. Letzteres ist hier der Fall.
3. Dass angesichts der Staatsangehörigkeiten (USA und Österreich), der derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalte (Vereinigtes Königreich und Österreich) und des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Streitteile (Vereinigtes Königreich) Anhaltspunkte dafür bestehen, die Sache könnte ausländischem Recht unterliegen, bedarf keiner weiteren Begründung.
Die Prüfung der Rechtsfrage, welches Sachrecht auf einen erhobenen Anspruch anzuwenden ist, kann in aller Regel (so auch hier) ohne großen Zeitaufwand erfolgen, sodass ihr die Dringlichkeit eines Provisorialverfahrens nicht entgegensteht. Davon zu trennen ist die weitere Frage, ob diese Dringlichkeit eine Ermittlung des fremden Rechts unmöglich macht.
3.1. Seit dem 18. Juni 2011 ist die Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUVO) in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) anzuwenden. Nach Art 15 EuUVO bestimmt sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht für die Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HUP 2007) gebunden sind, nach jenem Protokoll. Nach Art 75 Abs 1 EuUVO ist die EuUVO erst auf alle nach dem 18. Juni 2011 eingeleitete Verfahren anzuwenden (was hier sowohl auf die Unterhaltsklage als auch die hier zu beurteilende EV zutrifft).
Das HUP 2007 ist am 1. August 2013 in Kraft getreten; Teilnehmer sind bisher die EU und Serbien. Es ist in der Gemeinschaft – mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreichs – aufgrund des Ratsbeschlusses vom 30. November 2009 bereits ab dem 18. Juni 2011 anwendbar.
3.2. Das HUP 2007 ist nach seinem Art 2 auch anzuwenden, wenn das darin bezeichnete Recht dasjenige eines Nichtvertragsstaates ist. Es ist loi uniforme, dh es ist allseitig und ohne Rücksicht darauf anwendbar, ob die von ihm erfassten Sachverhalte irgendwelche räumlichen oder persönlichen Beziehungen zu einem anderen Vertragsstaat als dem Gerichtsstaat haben. Das vom Protokoll bestimmte Unterhaltsstatut braucht nicht das Recht eines Vertragsstaates zu sein. Der Begriff Nichtvertragsstaat schließt die durch den Beitritt zur EU zum Protokoll nicht gebundenen Mitgliedsstaaten ein, also Dänemark und das Vereinigte Königreich, solange diese sich am Protokoll nicht beteiligen, sodass es auch im Verhältnis zu diesen beiden Staaten anzuwenden ist.
3.3. Sämtliche Verweisungen des Protokolls stellen nach Art 12 HUP 2007 Sachnormverweisungen dar. Rück- oder Weiterverweisungen sind grundsätzlich nicht zu beachten. Dies gilt auch dann, wenn auf das Recht von Nichtvertragsstaaten verwiesen wird.
3.4. Wenn der Unterhaltsanspruch in den sachlichen, persönlichen und zeitlichen Anwendungsbereich des HUP 2007 fällt, bestimmt sich das anwendbare Recht auch dann nach dem Protokoll, wenn mittels EV Unterhalt begehrt wird.
3.5. Die vom Ehemann sowohl im Prozess als auch im Provisorialverfahren geäußerten Zweifel an der Anwendbarkeit des HUP 2007 auf den hier geltend gemachten ehelichen Unterhaltsanspruch nach Art 1 Abs 1 HUP 2007 auch gegenüber dem Vereinigten Königreich sind nach der dargestellten Rechtslage nicht nur für den einstweiligen Unterhalt ab 6. März 2016, sondern auch schon für den davor liegenden, von der Unterhaltsklage erfassten Zeitraum ab 1. Jänner 2012 unangebracht und widerlegt. Der erkennende Senat sieht sich daher nicht veranlasst, das angeregte Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten.
4. Gemäß Art 3 Abs 1 des für die nach dem 18. Juni 2011 fällig gewordenen Ansprüche maßgeblichen HUP 2007 folgen Unterhaltsansprüche dem Recht des Staates, in dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Da der gewöhnliche Aufenthalt der Ehefrau während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens unstrittig in London und damit im Vereinigten Königreich lag, ist hier englisches Unterhaltsrecht anzuwenden.
5. Allerdings machte der Ehemann schon in erster Instanz von der im Art 5 HUP 2007 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, sich gegen die Anwendung des Art 3 HUP 2007 zu wenden und eine engere Verbindung der Ehe zum österreichischen (Unterhalts-)Recht zu behaupten.
5.1. Art 5 HUP 2007 lautet: In Bezug auf Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten, früheren Ehegatten oder Personen, deren Ehe für ungültig erklärt wurde, findet Art 3 keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich dagegen wendet und das Recht eines anderen Staates, insbesondere des Staates ihres letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, zu der betreffenden Ehe eine engere Verbindung aufweist. In diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
5.2. Art 5 HUP 2007 stellt die Nachfolgebestimmung des vielfach kritisierten Art 8 HUntStÜ 1973 dar, mit der die Nachteile, die aus der Anknüpfung des nachehelichen Unterhalts an das unwandelbare Scheidungsstatut resultieren, vermieden werden sollten; sie ist als deutliche Absage an dieses zu werten, was Rückschlüsse darauf erlaubt, ob das Scheidungsstatut als das Recht der engeren Verbindung angesehen werden kann. Als Recht, das eine engere Verbindung zur Ehe aufweisen kann, wird das Recht des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Parteien nur als Beispiel genannt, das nur Indizwirkung hat, die im Einzelfall widerlegt sein kann. Es sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wobei die möglichen Kriterien eng begrenzt sind. Wegen des Ausnahmecharakters der Bestimmung und der vollständigen Verdrängung ist zu fordern, dass die engere Verbindung von einem Gewicht sein muss, dass es nachvollziehbar erscheint, von der Grundsatzanknüpfung an das Gläubigeraufenthaltsstatut abzuweichen; entscheidend ist allein die engere Verbindung zur Ehe der Parteien, dh nicht zu den Parteien oder zur behaupteten Unterhaltspflicht.
5.3. Es ist unstrittig, dass ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten während aufrechter Ehe nicht nur weit überwiegend (für etwa 13 von 18 Jahren) in London bestand, sondern auch bis zur vom Ehemann einseitig vorgenommenen Trennung im Verlauf des Jahres 2011. Gerade der im Art 5 HUP 2007 als signifikantes Beispiel für ein Abgehen von der Grundsatzanknüpfung genannte letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt deckt sich hier also mit der Grundsatzanknüpfung: Hat doch die Ehefrau ihren gewöhnlichen Aufenthalt in London beibehalten, sodass schon deshalb ganz außergewöhnlich gewichtige Umstände vorliegen müssten, um eine engere Beziehung der Ehe zu einem anderen Recht, als jenem des Aufenthaltsstaats des Unterhaltsberechtigten annehmen zu können.
5.3.1. Das ist hier aber schon deshalb nicht der Fall, weil die einseitige faktische Maßnahme des Ehemanns, nämlich die Verlegung seines gewöhnlichen Aufenthalts nach Österreich, die zur Zuständigkeit österreichischer Gerichte führte, eine Folge der damit eingeleiteten Trennung ist. Umstände vor der Eheschließung und nach der Trennung/Scheidung oder Ungültigerklärung haben aber außer Betracht zu bleiben.
5.3.2. Abgesehen davon erfolgt im Rahmen von Art 5 HUP 2007 – anders als im Anwendungsbereich von Art 4 HUP 2007 – keine Bevorzugung der lex fori, weshalb der Hinweis des Ehemanns auf die bestehende Zuständigkeit österreichischer Gerichte und die Anwendung österreichischen Verfahrensrechts ins Leere geht.
5.3.3. Selbst wenn auf die anhängige Ehescheidung österreichisches materielles Recht anzuwenden sein sollte (wie der Ehemann annimmt), wäre in diesem Umstand keine Verbindung zur (aufrechten) Ehe, sondern nur zu (den Voraussetzungen und Wirkungen) ihrer Auflösung zu erblicken (vgl § 20 IPRG); die hier strittige Unterhaltspflicht während aufrechter Ehe ist aber Folge der Rechtswirkungen der zwischen den Streitteilen geschlossenen Ehe (vgl § 18 IPRG).
5.3.4. Die bewusste Aufgabe des Scheidungsstatuts als Anknüpfung für die Beurteilung des Ehegattenunterhalts bei der Fassung des Art 5 HUP 2007 verlangt es vielmehr, gerade in der gegebenen, allein vom Ehemann geschaffenen Konstellation dem für die Voraussetzungen und Wirkungen der Scheidung maßgeblichen materiellen Recht eine zu vernachlässigende Bedeutung zuzumessen. Würde man nämlich dem Rechtsstandpunkt des Ehemanns folgen, hätte es ein Unterhaltspflichtiger in der Hand, nach der (allenfalls sogar von ihm einseitig vorgenommenen) Trennung durch die Wahl seines gewöhnlichen Aufenthalts in einem „unterhaltsfeindlichen“ Staat – man denke zB an die skandinavischen Länder, in denen der nacheheliche Unterhalt äußerst restriktiv und nur aufgrund außerordentlicher Umstände gewährt wird – den Anspruch des Berechtigten auf Unterhalt zu beschränken, womit dieser nicht zu rechnen hatte (vgl zum umgekehrten Beispiel zum Nachteil des Unterhaltsverpflichteten: Hausmann Rz 545). Damit wäre aber der Zweck des Art 5 HUP 2007, dass sich die Ehepartner darauf verlassen können, dass die bedeutsame Frage der Unterhaltspflicht jener Rechtsordnung unterliegt, in deren Geltungsbereich sie ihre Ehe geführt haben, vereitelt.
5.4. Zusammengefasst hat es also, weil die vom Ehemann vertretene engere Beziehung der Ehe zum österreichischen materiellen Recht zu verneinen ist, bei der Grundsatzanknüpfung des Art 3 Abs 1 HUP 2007 am gewöhnlichen Aufenthalt der unterhaltsberechtigten Ehefrau zu bleiben. Auf den von dieser verfolgten Anspruch auf (einstweiligen) Unterhalt während aufrechter Ehe ist daher englisches Sachrecht anzuwenden.
6. Damit stellt sich die Frage, ob (bereits) im vorliegenden Provisorialverfahren das englische Sachrecht zu ermitteln war.
6.1. Wie bereits erwähnt, ist die Angemessenheit der Frist iSd § 4 Abs 2 IPRG von der Dringlichkeit des Einzelfalls abhängig, aber die sofortige Anwendung österreichischen Rechts ohne vorherige ernsthafte Bemühung, das bedeutsame ausländische Sachrecht zu ermitteln, grundsätzlich unzulässig. Das vorliegende Provisorialverfahren blieb nicht einseitig, sondern wurde zweiseitig geführt und erforderte die Aufnahme (weiterer) Bescheinigungsmittel vor allem wegen der vom Ehemann zahlreich eingewendeten Verwirkungstatbestände.
Demgemäß war von vornherein zu unterstellen, dass eine sofortige Entscheidung über den Antrag auf EV nicht möglich sein werde, sodass die Ermittlung des englischen Ehegattenunterhaltsrechts jedenfalls durch eine geeignete Maßnahme zu versuchen gewesen wäre. Die von der Ehefrau dazu vorgelegten Unterlagen, und zwar ein nur sehr allgemein gehaltener Beitrag in einem in Deutschland erschienen Buch mit Beiträgen zum englischen Unterhaltsrecht, ein Beschluss des BGH vom 12. August 2009, XII ZB 12/05, in der er sich mit dem britischen Scheidungsfolgenrecht auseinandersetzt, und die ins Deutsche übersetzte Eidesstättige Erklärung zur englischen Rechtslage einer englischen Rechtsanwältin, die von der Ehefrau mit ihrer Vertretung beauftragt ist, reichen nämlich für sich allein nicht aus, um die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der behaupteten Rechtslage beurteilen zu können. Das schließt aber nicht aus, sie nach Vorliegen einer gerichtlich beigeschafften Auskunft und entsprechender Übereinstimmung in Kombination damit zu verwerten.
6.2. Wie der – wenn auch ex post betrachtete, aber keinesfalls unerwartete – tatsächliche Verlauf des Provisorialverfahrens zeigt, wäre für die Ermittlung des englischen Rechts ein Zeitraum von fast zehn Monaten von der Antragstellung bis zur Entscheidung in erster Instanz (fast 14 Monate bis zur Rekursentscheidung) zur Verfügung gestanden, der einen positiven Abschluss der Bemühungen erwarten lässt. Jedenfalls bietet die Aktenlage und der Umstand, dass das Recht eines Staates zu erheben war, der (noch immer) Mitglied der EU ist, keinen Anlass, an einem rechtzeitigen Erfolg dieser Bemühungen zu zweifeln. Die grundsätzlich anzunehmende besondere Dringlichkeit der Gewährung einstweiligen Unterhalts rechtfertigt daher in der vorliegenden besonderen Konstellation – anders als bei der Behandlung des geltend gemachten Prozesskostenvor-schusses – die sofortige Anwendung österreichischen materiellen Rechts nicht.
Darum ist in der Unterlassung (des Versuchs) einer Ermittlung des englischen Ehegattenunterhaltsrechts und in der sofortigen Anwendung österreichischen Rechts nicht nur ein Rechtsanwendungsfehler des Erstgerichts, sondern auch des Rekursgerichts zu erblicken, das sich mit dieser Problematik überhaupt nicht auseinandersetzte.
6.3. Daran ändert auch das Faktum nichts, dass mittlerweile Zeit vergangen ist und für eine Ermittlung des englischen Ehegattenunterhaltsrechts weitere Zeit vergehen wird, weil das Vorgehen der Vorinstanzen die materiell-rechtliche Beurteilung nicht beeinflussen darf.
7. Der Beurteilung des Sachverhalts nach österreichischem Recht bedarf es wegen der Beachtlichkeit des englischen Rechts auch im Provisorialverfahren somit nicht. Da nicht ausgeschlossen ist, dass – wie der Ehefrau behauptet – dem englischen Recht eine Unterhaltsverwirkung eines Ehegatten iSd § 94 Abs 2 ABGB/§ 74 EheG fremd ist, erübrigt sich derzeit die Auseinandersetzung mit den Argumenten des Revisionsrekurses.
8. Im Zusammenhang mit der notwendigen Ergänzung des Verfahrens ist zu prüfen, ob es der Aufhebung auch der erstgerichtlichen Entscheidung bedarf, oder ob nur die Rekursentscheidung aufzuheben und dem Rekursgericht die Erhebung der englischen Rechtslage aufzutragen ist.
Da derzeit eine Relevanz der zum Thema Unterhaltsverwirkung umfangreich vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden kann, erscheint es zweckmäßig, diesen Verfahrensaufwand nicht zu vernichten, was die Aufhebung nur der Rekursentscheidung bedingt, und zwar wegen der zur Antragsabweisung eingetretenen Teilrechtskraft nur im Umfang der Bestätigung des Zuspruchs. Denn die ausstehende Einholung einer Auskunft über das englische Recht kann durchaus als „notwendig scheinende Erhebung“ iSd § 526 ZPO iVm § 78 EO angesehen werden, weil sie kein formelles Beweisverfahren unter unmittelbarer Beteiligung der Parteien voraussetzt.
9. Ausgehend vom bereits erstatteten Vorbringen der Parteien zum englischen Recht wird daher das Rekursgericht die englische Rechtslage zu den angesprochenen Fragen insbesonders der Verwirkung des Ehegattenunterhalts möglichst rasch und unter Hinweis auf die Dringlichkeit zu erheben haben, um die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Rechtsbehauptungen der Parteien und des bisher vorgelegten Materials beurteilen zu können. Wie bereits erwähnt, scheidet dafür zwar die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus, nicht aber zB die Einholung einer Auskunft des Bundesministeriums für Justiz und/oder die Inanspruchnahme des Europäischen Übereinkommens betreffend Auskünfte über ausländisches Recht, BGBl 1971/417.
OGH 20.9.2017, 3 Ob 104/17s