Belastungsgrenze für Vater in Rumänien
Das ErstG setzte den Unterhalt des Mj ab 1. 2. 2015 mit 45 EUR monatlich fest und gewährte in dieser Höhe Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von 1. 3. 2015 bis 29. 2. 2020.
Das RekG gab dem Rek des Vaters nicht Folge. Rechtlich ging es davon aus, dass das im Hinblick auf die unterschiedliche Kaufkraft in Österreich und Rumänien bereinigte Unterhaltsexistenzminimum für Österreich im Jahr 2015 etwa 376 EUR betragen habe. Wenngleich das vom Vater erzielte Monatseinkommen unter diesem Betrag liege, sei im Hinblick auf die Unterhaltspflicht von 40 EUR monatlich gegenüber der in Rumänien wohnhaften Tochter und das deutlich höhere Preisniveau in Österreich ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von 45 EUR für seinen Sohn angemessen.
Über Zulassungsvorstellung ließ das RekG den RevRek nachträglich zu der Frage zu, ob ein Abgehen vom kaufkraftbereinigten Unterhaltsexistenzminimum zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung des in Österreich lebenden Kindes gerechtfertigt sei.
Der OGH:
1. Der gegen den Vater gerichtete Unterhaltsanspruch ist nach österreichischem Recht als dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes zu beurteilen (Art 3 Abs 1 HUP). Nach dem anzuwendenden Recht ist auch die Frage zu beurteilen, wie ein konkurrierender Unterhaltsanspruch zu berücksichtigen ist.
2.1 Nach § 231 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihre Kräften anteilig beizutragen. Unterhaltsansprüche von Kindern aus zwei oder mehreren Partnerschaften sind als einander grundsätzlich gleichrangig anzusehen.
2.2 Der Unterhaltsbedarf des Sohnes richtet sich – entsprechend seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort – nach den Lebenshaltungskosten eines Kindes in Österreich.
3. Dass sich die Lebenshaltungskosten des Kindes nach dessen Aufenthaltsort bestimmen, schließt nicht aus, bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs eines in Österreich wohnenden Kindes auch das Lohnniveau und die Lebenshaltungskosten des Unterhaltspflichtigen an dessen gewöhnlichem Aufenthaltsort zu berücksichtigen. Die Bildung eines den beiderseitigen Verhältnissen adäquaten „Mischunterhalts“ wird dann erforderlich, wenn die nach der österreichischen Rechstprechung angewendete „Prozentmethode“ aufgrund der besonderen Verhältnisse im Einzelfall unbillig wäre (8 Ob 30/16v). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Unterhaltspflichtigen nach Abzug aller von ihm zu leistenden Unterhaltsbeträge noch so viel von seinem Einkommen verbleiben muss, dass seine wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet wird, wenngleich er grundsätzlich alle Kräfte anzuspannen hat, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können. Im Falle der Notwendigkeit hat er sich hiezu auch strengen finanziellen Einschränkungen zu unterziehen.
4.1 Eine genaue Berechnung der Belastungsgrenze ist nicht möglich; es ist im Einzelfall eine nach den gegebenen Umständen für den Unterhaltsschuldner und den Unterhaltsberechtigten noch am ehesten tragbare Regelung zu treffen. Ein pflichtbewusster Unterhaltsschuldner wird seine Kinder im Normalfall an seinen – wenngleich auch niedrigen – Einkommensverhältnissen teilhaben lassen.
4.2 Lebt der Unterhaltsschuldner in Österreich, können die Bestimmungen der österreichischen Exekutionsordnung als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung dienen. Lebt der Unterhaltspflichtige im Ausland, ist die Belastungsgrenze nicht nach österreichischen Verhältnissen, sondern anhand der Lebenshaltungskosten in seinem Wohnsitzstaat festzusetzen (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8 [2016] 86).
4.3 Die Frage, ob der zugesprochene Unterhalt in Relation zum Lebensstandard im Heimatland des Unterhaltspflichtigen angemessen ist, ist stets eine solche des Einzelfalls (vgl 1 Ob 112/04h zum umgekehrten Fall, wenn das unterhaltsberechtigte Kind im Ausland lebt).
5. Berücksichtigt man die am – weitaus höheren – österreichischen Preisniveau zu messenden Unterhaltsbedürfnisse des Kindes sowie den Umstand, dass sich nach Art 529 des rumänischen Zivilgesetzbuches (Codul civil) die Höhe des Kindesunterhalts für ein Kind auf ein Viertel des monatlichen Nettoeinkommens des unterhaltspflichtigen Elternteils, bei zwei Kindern auf ein Drittel und ab drei Kindern auf die Hälfte des monatlichen Nettoeinkommens beläuft, so liegt in der durch die Vorinstanzen vorgenommenen Bemessung des Unterhalts mit 45 EUR monatlich jedenfalls keine Ermessensüberschreitung, und zwar auch nicht im Hinblick darauf, dass der Betrag des „kaufkraftbereinigten“ Unterhaltsexistenzminimums von 376 EUR, wie vom RekG berechnet, unterschritten wird. Nur dann, wenn dem RekG bei Anwendung des richterlichen Ermessens eine eklatante Überschreitung des Ermessensspielraums unterlaufen wäre, wäre ein Einschreiten des OGH erforderlich. Dies ist hier nicht der Fall.
Da keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen ist, ist der RevRek als unzulässig zurückzuweisen.
Anmerkung:
Neue Probleme zum Mischunterhalt: Die Belastungsgrenze soll sicherstellen, dass dem Unterhaltsschuldner ein ausreichender Teil seines Einkommens zur Deckung des eigenen Lebensbedarfs bleibt. In Österreich orientiert sich die Rsp am Unterhaltsexistenzminimum. Für Unterhaltsschuldner im Ausland ist diese Belastungsgrenze um die Kaufkraft zu bereinigen. Das entsprach bereits der Rsp der Rekursgerichte (bspw LG Linz EF 92.551; LG Salzburg EF 133.990), nun ist es auch Rsp des OGH. Da auch in Österreich die Belastungsgrenze uU unterschritten werden kann, gilt dies auch für den im Ausland lebenden Unterhaltsschuldner. Beträgt daher das um die Kaufkraft zu Rumänien bereinigte Unterhaltsexistenzminium Euro 376, kann es noch vertretbar sein, bei einem Einkommen von lediglich Euro 270 eine Unterhaltspflicht von Euro 45,- festzusetzen. Das dürfte auch Rumänien so sehen, wo der Vater für seine Tochter Euro 40,- zu zahlen hat.
Größere Schwierigkeiten könnten andere Fragen bereiten: angenommen der Vater in Rumänien verdient Euro 900,-. Wie hoch wäre dann der Anspruch des Kindes in Österreich? 14% von Euro 900,-also Euro 126,-? Oder ist das Einkommen des Vaters zuerst um die Kaufkraft zu „bereinigen“, also im Verhältnis 2,03:1 aufzuwerten, sodass er also ca Euro 1.800,- verdient und der Unterhalt mit Euro 252,- festgelegt werden müsste? Zum Vergleich (8 Ob 30/16v): lebt der Unterhaltspflichtige in Dänemark, wo die Lebenshaltungskosten rund 30-35% höher sind als in Österreich, nimmt der OGH eine (teilweise) Reduktion der Bemessungsgrundlage vor. Warum sollte sie also nicht im Rumänienfall erhöht werden?
Auch für das rumänische Gericht wird es nicht einfach: Angenommen das österreichische Gericht setzt bei einem Einkommen des in Rumänien lebenden Vaters von Euro 900,- den Unterhalt des Kleinkindes mit Euro 126,- bzw mit Euro 252 fest: wie hoch ist dann der Anspruch des in Rumänien lebenden älteren Kindes, wenn nach rumänischem Recht zwei Kinder Anspruch auf ein Drittel des Einkommens haben? Das österreichische Unterhaltsrecht tut sich hier aufgrund der Prozentwertmethode einfacher – man staune!OGH 17.4.2018
10 Ob 26/18y