Kind in Afrika – Vaterschaftsfeststellung in Österreich

Case Law

Kind in Afrika – Vaterschaftsfeststellung in Österreich

Der ASt (das Kind) wurde 2008 in Kenia geboren. Er lebt mit seiner Mutter in Kenia, beide sind kenianische Staatsangehörige. Der AG (Vater) hat seinen Wohnsitz in Österreich und ist österreichischer Staatsbürger. Mit seinem Antrag begehrt der ASt die Feststellung, dass der AG sein leiblicher Vater sei.


Der ASt (das Kind) wurde 2008 in Kenia geboren. Er lebt mit seiner Mutter in Kenia, beide sind kenianische Staatsangehörige. Der AG (Vater) hat seinen Wohnsitz in Österreich und ist österreichischer Staatsbürger. Mit seinem Antrag begehrt der ASt die Feststellung, dass der AG sein leiblicher Vater sei.

 

In der mündlichen Verhandlung vom 15. 5. 2013 verwies der AG auf einen bereits existierenden „Beschluss aus Kenia“, dessen wesentlicher Inhalt lautet:

„Nach Verlesung des Vergleichs vom 18. Juli 2012, welcher sowohl von der klagenden Partei [Mutter] als auch von der beklagten Partei [Antragsgegner] hierunter persönlich unterzeichnet wurde, ergeht hiermit der folgende Beschluss:
1. Die klagende Partei und die beklagte Partei sind die leiblichen Eltern von [ASt], dem hierin benannten Kind, und beide haben zu gleichen Teilen die elterliche Verantwortung über dieses Kind. […]
8. Der gegenständliche Vergleich kann neuerlich geprüft werden, sollten sich die Rahmenbedingungen ändern bzw sollte dies im Interesse des Kindes sein. [...]“

Die Beschlussausfertigung wurde mit der eigenhändigen Unterschrift des Richters und dem Amtssiegel des Pflegschaftsgerichts Tononoka ausgestellt. Sie ist ferner mit einem Rundsiegel und einem Rechtecksstempel je der kenianischen Einwanderungsbehörde mit dem Datum 18. 7. 2012 versehen.

Der ASt (!) brachte daraufhin ergänzend vor, aus diesem Beschluss ergebe sich, dass die Vaterschaft des AG bereits in einem gerichtlichen Verfahren in Kenia rechtskräftig anerkannt bzw festgestellt worden sei. Der Beschluss entfalte auch in Österreich Rechtswirkung und stehe daher einer neuerlichen Überprüfung der Vaterschaft in Österreich entgegen. Auf telefonische Anfrage des Erstrichters erklärte der AStVertreter, dass trotz dieses Vorbringens der Antrag auf Feststellung der Vaterschaft nicht zurückgezogen werde. Er wolle eine E des Gerichts.

Das ErstG wies den Antrag auf Feststellung der Vaterschaft wegen entschiedener Rechtssache zurück.

Das RekG bestätigte diese E und sprach aus, dass der oRevRek zulässig sei, weil zur Anerkennungsfähigkeit ausländischer gerichtlicher AbstammungsE keine höchstgerichtliche Rsp existiere und der Lösung dieser Rechtsfrage über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme.

Der OGH

1. Rechtsgrundlagen der Anerkennung ausländischer Statusentscheidungen:

1.1 Vorauszuschicken ist, dass E ausländischer Gerichte die Einrede der Rechtskraft begründen, wenn sie im Inland anzuerkennen sind. […]

1.2 In der E 6 Ob 24/98t hatte der OGH die Bindungswirkung des Urteils eines bosnisch-herzegowinischen Grundgerichts, mit dem die Vaterschaft festgestellt worden war, im Rahmen eines Obsorge- und Unterhaltsverfahrens noch nach den Kriterien der §§ 80 f EO geprüft und bejaht. In der Begründung wurde auch klargestellt, dass die sonst erforderliche Gegenseitigkeit (§ 79 EO) für die Anerkennung von Entscheidungen, die den Personenstand betreffen, nicht notwendig ist (ebenso 5 Ob 131/02d; 1 Ob 21/04a; vgl ferner RIS-Justiz RS0111346; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 06.34; Jakusch in Angst, EO² [2008] § 79 Rz 6; zum damaligen Anlassfall jüngst auch Weber, Inzidentfeststellung der Vaterschaft im Unterhaltsvorschuss- und Kindesunterhaltsverfahren?, Zak 2013/388, 207 [208]).

1.3 In der E 1 Ob 190/03b, wo … die Anerkennungsfähigkeit einer griechischen AdoptionsE als Vorfrage zu prüfen war, wurden erstmals die mit dem KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135, in Kraft getretenen Regelungen über die Vollstreckbarerklärung und Anerkennung ausländischer E über die Obsorge und das Recht auf persönlichen Verkehr (§§ 185d ff AußStrG aF) als taugliche Analogiegrundlage bejaht. […]

1.4 In dem am 1. 1. 2005 in Kraft getretenen AußStrG 2005, BGBl I 2003/111, wurden die §§ 185d ff AußStrG idF KindRÄG 2001 durch die im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen der §§ 112 ff AußStrG ersetzt. Nademleinsky/Neumayr (aaO Rz 06.34) erwogen im Hinblick auf die (damals) jüngere Judikatur zur Anerkennung von Adoptionsentscheidungen bereits die analoge Anwendung der §§ 112 ff AußStrG auch auf die Anerkennung „ausländischer Vaterschaftsfeststellungen“.

1.5 Zuletzt wurden mit dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, die mit 1. 1. 2010 in Kraft getretenen §§ 91a ff AußStrG eingefügt, die nun die Anerkennung ausländischer E über die Annahme an Kindes statt regeln und die sich (ua) an den §§ 97 ff (Anerkennung ausländischer E über den Bestand einer Ehe) und den §§ 112 ff AußStrG orientieren (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG [2013] §§ 112-116 Rz 4). Die analoge Anwendung der §§ 112 ff (vormals §§ 185d ff) AußStrG auf die Anerkennung einer ausländischen Adoption wurde damit obsolet (Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG² § 91a Rz 1).

1.6 Zu den kindschaftsrechtlichen Statussachen zählen neben den Adoptionsverfahren auch die Abstammungsangelegenheiten (Fuchs aaO § 112 Rz 4; vgl auch Rechberger in Rechberger, AußStrG² § 10 Rz 10 [Personenstandssachen]). Laut Fuchs (aaO) erklärt sich mit der Zielrichtung und der Entstehungsgeschichte des FamRÄG 2009, warum sich der Regelungsgegenstand der zuletzt erwähnten Novelle in Bezug auf die Anerkennung von E lediglich auf Adoptionssachen beschränkte und eine Neuregelung der Anerkennung von E in weiteren kindschaftsrechtlichen Statussachen unterblieb. Aufgrund der deutlich größeren Sachnähe der §§ 91a ff AußStrG als die der §§ 80 f EO hält die genannte Autorin jedoch eine analoge Anwendung der §§ 91a ff AußStrG in Bezug auf die Anerkennung ausländischer E über die Abstammung für geboten, sofern autonomes Recht Anwendung findet.

1.7 Der erkennende Senat pflichtet der von Fuchs geäußerten Rechtsansicht bei, die im Hinblick auf die erörterte Entwicklung der Rechtslage als geradezu logische Fortsetzung der mit der Entscheidung 1 Ob 190/03b eingeleiteten Orientierung an den jeweils sachnäheren Anerkennungsregeln des AußStrG statt an den allgemeineren Regeln der §§ 80 f EO als Analogiegrundlage zu begreifen ist. Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass die Frage, ob eine anerkennungsfähige E eines kenianischen Gerichts über die Vaterschaft des AG zum ASt vorliegt, in analoger Anwendung der §§ 91a ff AußStrG zu prüfen ist. § 91d AußStrG verweist zwar auf den Vorrang anderslautender Bestimmungen des Völkerrechts (vgl auch Nademleinsky/Neumayr aaO Rz 06.34), die jedoch in Angelegenheiten der Abstammung im Verhältnis zu Kenia nicht existieren.

2. Zur Anerkennungsfähigkeit der kenianischen E:

2.1 Gem § 91a Abs 1 AußStrG wird eine ausländische E über die Annahme an Kindes statt in Österreich anerkannt, wenn sie rechtskräftig ist und kein Grund zur Verweigerung der Anerkennung vorliegt. Die Anerkennung kann als Vorfrage selbständig beurteilt werden, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf (Deixler-Hübner aaO § 91a Rz 1; Fucik, Anerkennung ausländischer Adoptionsentscheidungen, iFamZ 2009, 271 [272]). Dies gilt nach dem oben Gesagten ebenso für rechtskräftige ausländische E über die Abstammung des Kindes.

2.2 Voraussetzung für die Anerkennung ist das Vorliegen einer ausländischen „Entscheidung“. Der Gesetzgeber geht von einer weiten Auslegung des Begriffs der „Entscheidung“ aus und versteht darunter nicht nur konstitutive E einer ausländischen Behörde. Umfasst ist jedes gerichtliche oder behördliche Verhalten, das die Annahme an Kindes statt (hier: die Abstammung) betrifft, wenn es also eine amtliche Mitwirkung gegeben hat (Spitzer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG [2013] § 91a Rz 2; Nademleinsky/Neumayr aaO Rz 07.45). Es genügt auch eine bloße Protokollierung oder Beglaubigung, selbst wenn dabei keine inhaltliche Kontrolle stattgefunden hat (Deixler-Hübner aaO § 91a Rz 2; Spitzer aaO § 91a Rz 2).

Die analoge Anwendung dieser Grundsätze auf Abstammungssachen hat zur Folge, dass nicht nur die konstitutive Vaterschaftsfeststellung, sondern auch die behördliche Mitwirkung an der Erklärung eines Vaterschaftsanerkenntnisses zu einer anerkennungsfähigen ausländischen „Entscheidung“ über die Abstammung führen kann.

2.3 Der Beschluss vom 18. 7. 2012 stammt vom Tononoka Children’s Court in Mombasa, demnach von einem kenianischen Gericht (zur Gerichtsorganisation in Kenia vgl Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Kenia [Stand 1. 6. 2014], 5). Wortlaut und Inhalt des Beschlusses lassen erkennen, dass damit ein Rechtsstreit zwischen der Mutter des ASt als klagender Partei (plaintiff) und dem AG als beklagter Partei (defendant) über die elterlichen Rechte und Pflichten gegenüber dem ASt beendet wurde. Als Grundlage des Beschlusses wird ein – nicht aktenkundiger – Vergleich (Consent) vom selben Tag genannt, den die Parteien persönlich unterzeichnet hätten. Dies legt bereits die Schlussfolgerung nahe, dass der Beschluss nichts anderes als den Vergleichstext wiedergibt. Bestätigt wird dies in Punkt 8 des Beschlusses, in welchem vom „gegenständlichen Vergleich“ die Rede ist. Punkt 1 des Beschlusses enthält den Ausspruch, dass die Parteien die leiblichen Eltern des Kindes sind und beide zu gleichen Teilen die elterliche Verantwortung haben. Diese Feststellung umfasst die Aussage, dass der nunmehrige AG der leibliche Vater des nunmehrigen ASt ist.

2.4 Die Auslegung dieser Regelungen setzt zunächst die - von den Vorinstanzen unterlassene – Auseinandersetzung mit der bei Bergmann/Ferid (aaO 41 ff; zum Rechtspluralismus in Kenia: aaO 19 ff) wiedergegebenen materiellen kenianischen Rechtslage voraus [nicht abgedruckt].

2.5 Auch ohne nähere Kenntnis der einzelnen Verfahrensschritte in dem von der Mutter des ASt gegen den AG geführten Rechtsstreit vor dem kenianischen Gericht ist schon angesichts des kurz vor dem Vergleichsabschluss und der darauf gegründeten Beschlussfassung durchgeführten Vaterschaftstests, auf dessen Ergebnis sich der AG nach eigenem Vorbringen „verlassen“ hat, davon auszugehen, dass die (zumindest inzidente) Feststellung der Vaterschaft Gegenstand des Verfahrens war. Der Wortlaut des Beschlusses lässt ferner darauf schließen, dass der in diesem gerichtlichen Verfahren geschlossene Vergleich inhaltlich einem „parental responsibility agreement“ entsprach, das jedenfalls auch die Anerkennung der Vaterschaft vorausgesetzt hat (so auch der AG auf AS 19). Demnach liegt im Ergebnis zumindest eine unter gerichtlicher Mitwirkung zustande gekommene Anerkennung der Vaterschaft durch den AG vor, was in der einleitenden Feststellung in Punkt 1 des Beschlusses vom 18. 7. 2012, die Parteien des Rechtsstreits seien die leiblichen Eltern des Kindes, ausreichend deutlich zum Ausdruck kommt.

Ausgehend von dem in Punkt 2.2 erörterten weiten Verständnis des Begriffs der „Entscheidung“ ist unter diesen Umständen das Erfordernis einer ausländischen E über die Vaterschaft des AG zum Antragsteller erfüllt.

2.6 Die ausländische E muss „rechtskräftig“ sein. Dass diese Voraussetzung zutrifft, geht zwar aus der Urkunde selbst nicht hervor, ist aber unstrittig. […]

2.7 Weiters ist zu prüfen, ob der Anerkennung der kenianischen E einer der in § 91a Abs 2 und 3 AußStrG genannten Versagungsgründe entgegensteht. Nach § 91a Abs 2 AußStrG ist die Anerkennung der E zu verweigern, wenn 1. sie dem Kindeswohl oder anderen Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht; 2. das rechtliche Gehör einer der Parteien nicht gewahrt wurde, es sei denn, sie ist mit der E offenkundig einverstanden; 3. die E mit einer österreichischen oder einer früheren, die Voraussetzungen für eine Anerkennung in Österreich erfüllenden E unvereinbar ist; 4. die erkennende Behörde bei Anwendung österreichischen Rechts international nicht zuständig gewesen wäre. Im Einzelnen … [nicht abgedruckt].

2.10 Die Anerkennungsfähigkeit des Beschlusses des kenianischen Pflegschaftsgerichts vom 18. 7. 2012, soweit darin der AG als leiblicher Vater des ASt festgestellt wird, ist daher zu bejahen.

3. Ergebnis:

Aus den soeben angeführten Erwägungen hindert die Bindungswirkung des kenianischen Beschlusses eine neuerliche E über die Vaterschaft des AG. Die Vorinstanzen haben den Antrag auf Feststellung der Vaterschaft daher zu Recht zurückgewiesen.

OGH 27.11.2014, 2 Ob 238/13h

< back